Blog / Evidenz meets Partizipation
Evidenz meets Partizipation
Am Dienstag waren wir auf der schon angekündigten Tagung an der Freiburger Universität. Es ging um das Thema „Partizipative Entscheidungsfindung in der Medizin“. Die Vorträge und Diskussionen waren in der Tat sehr interessant. Im Grunde fand man zwei Gruppen: (a) die Einen, denen das Thema Partizipation nicht weit genug geht, die ein „echtes“ Mitspracherecht im Enttscheidungsprozesse einfordern und (b) die Anderen, die sich darum bemühen, das in kontrollierten Studien erworbene, evidenzbasierte Wissen in einer angemessenen, laienverständlichen Form in den Entscheidungsprozess einzubinden. Man merkt schnell: vordergründig geht es Sprachschwierigkeiten, hintergründig geht es um Machtverschiebungen.
Auffällig war, dass vom Gesundheitsbegriff relativ wenig bis gar keine Rede war. Mir selber geht es dabei gar nicht um Definitionsfragen, sondern der Gesundheitsbegriff ist für mich so etwas wie eine Integrationskraft zwischen den doch recht unterschiedlichen Interessen im medizinischen Kontext: es geht um MEINE Gesundheit und dafür braucht man eben medizinisches (globales) Wissen, ebenso wie individuelles (lokales) Wissen. Ja, hinter all dem steckt für mich eben die Grundsatzfrage, ob Partizipation eben auch heißt, eine aus medizinischer Sicht suboptimale Option in Kauf zu nehmen, weil der Patient (trotz tiefer Abwägung) es eben so und nicht anders will. Auch hier noch mal nachgelegt: „medizinisch suboptimal“ ist ja auch nur eine sehr fragmentierte Momentaufnahme. Wenn durch Einbeziehung des Patientenwissens Wege der Gesundung gefunden werden, die aus medizinischer Sicht nicht „evident“ sind, aber sich im Ergebnis als positiv herausstellen, dann ist das doch für beide Seiten gut. Aber eben erst im Ergebnis. Ja und hier springt der Frosch ins Wasser: eine evidenzbasierte Medizin kennt kein Einzelwesen „Mensch“. Die Methode erzwingt allgemeingültiges Wissen durch ein artifizielles Untersuchungsdesign. Auf der einen Seite also das gesicherte Wissen aus systematischen aber ent-individualisierten Studien, auf der anderen Seite der Mensch in seiner individuellen Ganzheit. Wie bringt man das zusammen?
Am Abend haben wir dann noch mit den Kollegen vom Lehrstuhl Härter (Klinische Epidemiologie und Versorgungsforschung) über ein Informationsportal gesprochen und wie man den Gedanken der Partizipation im technischen Bereich umsetzen kann. Neben den vielen Anregungen aus der Tagung nehmen wir aber auch eines mit: wenn man den Patienten helfen will, wenn man ihm also ein nutzbringendes Instrument wie z.B. ein Informationsportal anbieten möchte, dann muss man eine eigene Forschungsstrategie verfolgen, die sich nicht an den engen Grenzen der evidenzbasierten Medizin festklammert. Das methodische Design darf nicht die Intervention bestimmen. Der Weg muss umgekehrt gehen und man muss sich fragen dürfen, mit welchem methodischen Design wir mit hoher Wahrscheinlichkeit nachhaltige Bildungsinnovationen – und da ist Partizipation systemimmanent – vorantreiben. Zumindest ergeben sich an dieser Stelle sehr spannende Fragen im Austausch zwischen Medizin und Pädagogik. Dabei ist es nicht so wichtig was beide trennt, sondern was beide verbindet: der Nutzen für den Patienten bzw. Lernenden.