Blog / Olympia-Boykott oder nicht … oder ist das die falsche Frage?
Olympia-Boykott oder nicht … oder ist das die falsche Frage?
„Der Sport ist nicht in der Lage, Probleme zu lösen, die weder die Vereinten Nationen noch einzelne Regierungen in jahrzehntelangen Anstrengungen bewältigen konnten“, teilte der DOSB mit. [ZEIT online]
Soweit das aktuelle Zitat von offizieller Seite. Ich weiß, das ganze Geflecht aus Politik-Wirtschaft-Sport ist zu verzwickt als dass man schnelle und eineindeutige Handlungsstrategien daraus ableiten könnte. Hinzu kommt, dass man recht mutlos über sich, die Olympische Bewegung oder allgemein den Sport urteilt: Er sei nicht in der Lage, politische Probleme zu lösen, sagt man.
Ich bin bisweilen gespalten: Auf der einen Seite möchte ich meinem politisch-humanistischen Reflex folgen und der chinesischen Regierung die rote Karte zeigen: wegen der Gewalt in Tibet, wegen der Menschenrechtsverletzungen, wegen der augenfälligen Instrumentalisierung der Spiele. Auf der anderen Seite denke ich, dass man die Situation nur verändern kann, wenn man den Dialog sucht und den Anderen, das Andere, mit ins Boot holt. Genau eine solche Position verfolgen offenbar die Deutsche Regierung und der DOSB und andere Hilfsorganisationen. An anderer Stelle habe ich gelesen: „Wir brauchen keine Anti-China, sondern China-Strategie.“ Soweit so gut.
Mir ist dieser erste Einstieg, hop oder top, aber zu wenig. Eine solche „Argumentation“ verdeckt die Binnenkomplexität, die eine große internationale Kulturbewegung zu managen hat und vor allem wird dadurch nicht sichtbar, welche Handlungsalternativen es für die Olympische Bewegung gibt. Aber, wer ist denn die Olympische Bewegung? Ja, das sind wir, die Zuschauer, das sind die SportlerInnen, die Betreuer und Trainer/Innen, das sind die Journalisten, also all diejenigen, die die Freiheit dazu haben, die Stimme zu erheben, weil sie weder durch Gewalt bedroht, durch Lüge verblendet oder wie die führenden IOC-Mitglieder an diplomatische Zurückhaltung gebunden sind. Es geht also um beides und das ist wahrscheinlich so schwer zu verstehen: Es geht um die Sicherung eines internationalen Sportfestes der Jugend und es geht gleichzeitig um eine der größten Protestbewegungen gegen chinesische Gewalt im eigene Land und in Tibet! Genau in dieser GLEICHZEITIGKEIT von Ereignissen auf unterschiedlichen Bühnen liegt die besondere, d.h. sportlich-kulturelle Macht der Olympischen Bewegung!
Man muss sich in der Tat immer bewusst machen, dass das IOC und die Olympische Bewegung immer schon auf dünnem Eis gestanden hat, soll heißen: Einerseits ist sie angewiesen auf den Zuspruch aus Politik und Wirtschaft (vgl. hierzu Coubertins Erinnerungen 1936). Andererseits darf man diese materielle Machtlosigkeit nicht zu einer generellen Machtlosigkeit verallgemeinern! Die Erfinder der neuzeitlichen Olympischen Spiele haben eine sehr machtvolle Idee in die Welt gesetzt. Gut 100 Jahre nach dieser Erfindung erzeugen die Olympischen Spiele eine weltweite Aufmerksamkeit, bei allen Bevölkerungsschichten und damit ein „Gefühl von globaler Gemeinsamkeit“. Das ist der zentrale Friedensbeitrag der Spiele, der unmittelbar aus der sportlich-kulturellen Inszenierung hervorgeht. Man kann sagen: „Das ist zu wenig!“ Ich würde aber sagen: „Das ist alles, was der Sport als SPORT-Bewegung geben kann, aber genau das ist seine Pflicht.“
Zusammen mit der oben erwähnten Gleichzeitigkeit (besonderes Fest + systematischer Protest) ergibt sich für mich eine China-Strategie, die sicherlich nicht einfach umzusetzen ist, die aber den Machthabern in China zeigt: „Wenn ihr mit im Boot der Zivilgesellschaft sein wollt, dann MÜSST ihr euch den Spiegel vorhalten lassen!“ Was definitiv nicht passieren darf – und die Gefahr ist groß, weil dieser Weg nur eine Handbreit daneben liegt – ist, die Spiele zu spielen und im „vorauseilenden Gehorsam“, aus „strategischen Gründen“ oder „wirtschaftlichen Interessen“ still zu halten, nichts zu sagen, mit den Machthabern zu sympathisieren … wie 1936. Genau dann nämlich würde man das Kostbarste der Olympischen Idee verspielen, die Hoffnung der Jugend, weil man die Botschaft vermitteln würde: Schaut weg!
Die Botschaft sollte lauten: „Schaut hin, sagt was ihr denkt, tauscht euch aus, vor allem mit der chinesischen Jugend … und konzentriert euch auf euren Wettkampf! Ja, von der Jugend der Welt, von der Olympischen allemal, wird viel verlangt. Aber das war ganz im Sinne Pierre de Coubertins, denn er hat explizit neben der kraftlosen Formel der „Toleranz“ den „gegenseitigen Respekt“ (Le respect mutuel) gesetzt. Und Respekt ist bei ihm mit mindestens drei Imperativen verbunden: das Fremde (gerade auch die Geschichte Chinas) kennenlernen, die Überzeugungen der anderen achten aber auch … das eigene Gewissen nicht ruhen lassen!
Literaturhinweise:
Coubertin, P. de: Die gegenseitige Achtung. Acadenia, 1988
Güldenpfennig, S.: Sport: Kunst oder Leben. Academia, 1996