34 Monate später

- Ich genau im Januar 2009 auf der II. Dresdener TTD-Tagung von Anne Canel (EU-Kommissarin) den „Floh“ ins Ohr gesetzt bekommen habe, doch ein EU-Projekt zum Thema zu beantragen. 34 Monate später stand ich oben auf der Bühne und berichtete aus der Rückschau darüber, wie aus einem Floh ein (kleiner) Elefant wurde.
- Ich mal wieder erleben konnte, dass zwischen einer wissenschaftlichen Evaluationstudie (Britta Lang, TRL, Transport Research Laboratory, GB) mit hoher methodischer Kontrolle auf der einen Seite und den berechtigten Interessen der „Praktiker“ nach Nutzwert auf der anderen Seite das Meer liegt. Nett ist es dann immer, wenn zur Versöhnung gesagt wird: „Wir müssen einfach noch enger zusammenarbeiten!“. Eine methodische Diskussion in Richtung Entwicklungsforschung gibt es hier nicht, da ist die Verkehrspsychologie zu sehr im methodischen Mainstream der Community verankert.
Querdenker nicht willkommen

Na ja, wundern tut mich diese Aussage nicht, wer will schon einen QUERdenker in den eigenen Reihen haben, der liegt begrifflich nahe am QuerTREIBER, oder? Wahrscheinlich bemühen wir auch seit Jahren mit dem "Querdenker" die falsche Metapher um Menschen zu bezeichnen, die Innovationen im Unternehmen vorantreiben, d.h. Inventionen durch Kommunikation und Teamgestaltung begünstigen, Hindernisse gleich welche Art mutig aus dem Weg räumen, nicht müde werden, eine flüchtige Idee schrittweise dingfest zu machen und institutionell zu verankern. Wie bezeichnet man diese Menschen?
Abstimmungsprozesse und die Rolle des Körpers

Im neuen Buch von Fritz Böhle und Margit Weihrich geht es darum, welche Rolle die „Körperlichkeit und Leiblichkeit in sozialen Abstimmungsprozessen spielen“ und wie man die körperlich-leibliche Dimensionen für eine Theorie sozialen Handelns nutzen kann. (vgl. S. 7.) Ich habe das Buch nun zur Hälfte gelesen, wie gewohnt ausgehend vom Literaturverzeichnis, von der Einleitung zum Abschlusskapitel und noch ein paar Beiträge mittendrin. Ich kann nur sagen: sehr interessant was da steht und für jeden zu empfehlen, der Interesse an Themen hat wie: „kollektive Intentionalität“, „soziale Praxen“, „Situierung“ oder „empraktische Kommunikation“.
Besonders Interessant fand ich den Beitrag von Frau Figueroa-Dreher zu Abstimmungsprozessen im Free-Jazz! Man fragt sich: Wer stimmt hier was und wie ab? Es gibt ja per Definition im Free Jazz keinen Plan, kein vorab definiertes Thema! Free steht irgendwie im Widerspruch zu Plan, oder? Die Autorin sagt hierzu: „Für Free-Jazz Musiker bedeutet es zunächst einmal, sich mit den eigenen Klängen auf die Klänge der anderen zu beziehen“ (S. 202) … dabei spielen Wiederholung (Repitition) und Nachahmung (Imitation) eine wesentliche Rolle in der gegenseitigen „Bezugnahme“ und Musterbildung. Die Spieler stimmen sich also nicht ab zu einem vorab definierten Masterplan, einem Orchesterleiter, der den Takt bzw. eine Ordnung vorgibt, sondern die Abstimmung ist relativ zu jedem Einzelspieler, es geht um den Prozess des Ordnens, wobei das flüchtige Produkt (Musik) ästhetischen Ansprüchen der Spieler selber genügen muss. Fehler oder Mißveständnisse im Abstimmungsprozess müssen dabei keineswegs „ästhetisch wertlos“ sein, … auch ein interessanter Aspekt.
Recht nah an unseren Arbeiten sind die Artikel von der Sozialwissenschaftlerin Stefanie Porschen sowie den Sportpädagogen Alkemeyer/Brümmer/Pille (Pille, cooler Name). Beide Artikel beschäftigen sich mit körperlichen Abstimmungs-prozessen im Bereich der Industrie (Fahrzeugbau, Indistrievorarbeiter etc.), beziehen theoretische Perspektiven z.B. von Bourdieu ein und arbeiten beide mit Videoanalysen, in denen Abstimmung bzw. Koordination durch empraktische Kommunikation und/oder Körpersprache analysiert wird. Praktisch sieht dies z.B. so aus, dass der Vorarbeiter komplimentär zu seinen (unvollständig) verbalen Äußerungen, auf die relevanten Dinge/Objekte zeigt, seinen Körper zur Anschaung des Gemeinten „ins Spiel bringt“ und auch Sprachbilder verwendet. Mit unvollständigen Sätzen ist gemeint: „Wenn hier zum Beispiel kommt diese Federbandschelle hier … kannst du so auch arbeiten oder nicht?… weil du Winkel hast und das ist ja auch.“ (S. 244). Das Gemeinte versteht man wohl erst, wenn man diese Halbsätze in Kombination mit dem Körpereinsatz wahrnimmt. „Wahrnehmung“, überhaupt ein leitender Begriff im Buch, denn den Autoren geht es dabei nicht nur um „Rezeption“, sondern darum, körperliche Wahrnehmung als erkenntnisleitendes Verfahren oder gar als Forschungsmethode (Pieper/ Clenin) zu begreifen.
Fazit: Wer sich neben der diskursiven Koordinierung auch für empraktische Kommunikation interessiert, bei der der Körper eine zentrale Rolle spielt, für den ist das Buch was! Für Medienpädagogen und -Didakiker ist sicherlich herausfordernd, wie ein solcher Körperbezug und die damit verbundenen Koordinationspotenziale mit den digitalen Medien verbunden werden können.
Systemische Produktinnovation, … wie kommt man auf sowas?

Es macht wieder Spaß!

Nach einer schwierigen Frühlingssitzung 2011, auf der die Existenz des Vereins diskutiert wurde, haben wir einen deutlichen (inneren) Richtungswechsel gemacht: Von den stratosphärischen Diskussionen nach der Art: „Was IST Bildung, was IST Ökonomie und was ist dann Ökonomie UND Bildung?" sind wir in den Nahbereich der eigenen Interessen gerückt und fragen jetzt ganz unbelastet nach eigenen Projekten, die jeder im Umfeld von Ökonomie und Bildung macht. Das bringt Motivation und Anschaulichkeit für alle Beteiligten mit sich, die Komplexität ergibt sich automatisch durch die Themen. Im Netzwerk finden sich Interessierte zusammen, die zweimal im Jahr über diese Projekte gemeinsam diskutieren wollen, zum Glück desjenigen, der sein Projekt vorstellt, aber auch zum Nutzen derjenigen, die Hinweise geben. Man geht reicher nach Hause als man gekommen ist, was ja ein Kernmerkmal vom guten deutschen „Verein" ist.
So hoffe ich, dass wir beim nächsten Frühjahrstreffen das Formale in 10 min klären können und uns wieder einem neuen interessanten Projekt widmen. Das Treffen bei Wolfgang Berchtold von der Spiel und Sport GmbH (Herbstsitzung) war jedenfalls von der Art wie es sein sollte: Brezen, Kaffee, anspruchsvolles Projekt zum Thema „Orientierung bei Jugendlichen" und willige Diskutanten.
20. Sportwissenschaftlicher Hochschultag Halle

Ein voller Tag: Vier Uhr aus dem Bett, mit dem Flieger nach Halle (an der Saale) zum Hochschultag und gegen Mitternacht wieder zurück. Alles in allem hat es sich gelohnt: Zunächst konnte ich die Session von Alfred Richartz (Sportpädagoge Uni Hamburg) hören. Im Arbeitskreis ging es um pädagogische Trainingsqualität. Das ist spannend, weil es nicht so häufig vorkommt, dass Sportpädagogen mit Trainingswissenschaftlern an einem Strang ziehen. Zudem hat Alfred ein interessantes Prozess-Produkt-Evaluationskonzept vorgestellt (classroom management), in dass ich mich noch tiefer eindenken will, weil es ggf. auch für unsere Arbeiten interessant ist. Am Nachmittag war ich beim Vortrag „Innovationen in der Sportartikelindustrie" von Herrn Krabbe (head of innovation, adidas ag). Das thema hatte mich im Vorfeld der Tagung so sehr inspiriert, dass ich zusammen mit Johannes Metscher eine Forschungsnotiz zur besagten Produktinnovation (mit Videoannotation) geschrieben habe; diese wird in Kürze veröffentlich. Auf der Tagung selber konnte ich Herrn Krabbe abfangen und ihm freudig unsere Notiz mit ein paar engagierten Worten in die Hand drücken. Mal sehen was draus wird :-).
Am späten Nachmittag habe ich dann mein Referat „Mit Blended Learning 2.0 zum Sportvereinsmanager: ein deutsch-chinesisches Kooperationsprojekt" halten können. Der 15-Min-Takt für einen Vortrag ist gewöhnungsbedürftig, aber es ging, die wichtigsten Botschaften konnte ich an die Sportökonomen vermitteln. U.a. waren fünf Chinesen im Publikum, die ganz interessiert zugehört haben. Einer von ihnen war Prof. Dr. Zhijian Huang von der Wuhan Sport University; er hatte vor 15 Jahren an der Universität der Bundeswehr München studiert und fühlte Heimatluft ;-).
Schön war auch, dass ich alte Bekannte wieder getroffen habe, u.a. Marion Golenia (Uni Münster); Peter Frei (Uni Hildesheim) und Rolf Kretschmann (Uni Stuttgart). Unterm Strich fahre ich deshalb immer wieder gerne auf den Sportwissenschaftlichen Hochschultag, weil man nirgens sonst so eine große Bandbreite an Themen erfahren kann, z.B: "Sportwissenschaftliche Aspekte zur Aktivierung und individualisierten Belastungssteuerung onkologischer Patienten mit Stammzelletransplantation" steht bei der Posterpräsentation unmittelbar neben "Die Bedeutung des christlichen Glaubens für Leistungssportlerinnen und Leistungssportler" … ich könnte fortfahren.