Ohne Unten gibt es kein Oben

Ich weiß noch nicht, wie man dieses letztgenannte Problem in der Breite lösen will, denn ohne persönliche Betreuung ist es für viele der Bildungsreferenten schlicht schwer, das Thema „E-Learning“ in ihren Verbänden voranzutreiben; da gibt es vielfältige Hürden: didaktische, kulturelle, finanzielle, technische … sie wollen ja, aber so recht findet man keinen Weg im Dickicht. Nun schauen alle Augen nach SALTO, auf das kleine SALTO-Team. Aber jeder weiß, dass es so nicht funktionieren wird. Nicht „die da oben“ werden es machen, sondern EINZELNE in den Spitzen- und Landesverbänden, die es in die Hand nehmen, vorbei an allen Widerständen, ohne Rambo-Gehabe, aber mit viel WILLEN.

Blended Conference im organisierten Sport

Man sagt ja immer so schnell: „Komm, lass uns mal eine Blended Conference machen“, Yeah, Blended Conference, noch einer dieser Dingsda-Wörter, aber die Umsetzung geht nicht so flott. Doch die Arbeit hat sich bis jetzt gelohnt: Viele Tn. sind bereits online aktiv gewesen, haben Videos kommentiert und Erfahrungen sowie Erwartungen in Blogs formuliert, … alle können alles sehen, wir arbeiten mit edubreak. Gefühlt ist es so, dass die Tagung schon begonnen hat (sie HAT begonnen), man reist also anders nach Frankfurt, mit konkreteren Fragen und einer „mentalen Grundorientierung“.
Morgen gibt es dann einen strammen, halben Tag: Angefangen mit Prof. Andreas Hebbel-Seeger, einer der sehr wenigen Sportwissenschaftler, die sich systematisch zum Thema E-earning äußern. Er wird aus Schweden (aus einem einsamen Dorf, in einer kleinen Schule, da gibt es einen guten Internetanschluss) einen Fernvortrag halten und uns etwas über das „e im Sport“ erzählen. Es folgt ein Input von Nichtsportlern, d.h. E-Learning-Erfahrungen aus den Bereichen Polizei, Volkshochschule, Universität, Fahrschule, Schule und Unternehmen. Man will wissen, ob man auch außerhalb des Sports mit Wasser kocht. Im Anschluss gibt’s Arbeitsgruppen zum SALTO-Projekt, in denen die Leiter erste Einblicke in die laufenden Arbeiten geben und die Tn zum konkreten Mitmachen anstiften wollen. Der Tag schließt mit einem Vortrag von Dr. Robes, „der Robes“ vom weiterbildungsblog, Yeah. Er wird einen Beitrag zu MOOCs halten, also zu einem Thema, das aktuell intensiv diskutiert wird (hier, hier, hier). Natürlich wollen wir nicht nur etwas Allgemeines über MOOCs wissen, sondern auch lernen, ob das auch was für die Sportausbildung ist. Wir sind ganz Ohr!
Du kannst auch kein Fußballspielen
Als ich vor 13 Jahren meinen ersten Arbeitstag bei Siemens im dortigen Unternehmensreferat Wissensmanagement als Werksdoktorand begann, musste ich Herrn Dr. Hofer-Alfeis einen Besuch abstatten – alle nannten ihn den Professor. Er fragte mich, worüber ich promovieren wolle. „Ich möchte gern ein Analogietraining für Wissensarbeiter entwickeln“, antwortete ich. Er schmunzelte und sagte: „Es gibt Arbeiter an den Maschinen, die stanzen, die machen die Arbeit. Es gibt Werksleiter, welche die Arbeit der Arbeiter koordinieren. Es gibt Manager, die sagen, wo es lang geht und wie man Geld mit all der Arbeit verdient. Neuerdings gibt Wissensmanager (wie er), die die Manager beraten, ihnen sagen, wie man ‚Wissen managt‘. Und nun kommen Sie und wollen die Wissensmanager beraten, wie sie das Unmögliche tun. Herr Vohle, Sie haben keine Vorstellung davon, wie weit Sie von der Wertschöpfung entfernt sind.“ Tja, ich wusste nicht so recht was ich antworten sollte und verließ verschämt den Raum. … Diese Woche unterhielt ich mich mit einem Kollegen, der Sportverbände berät. Ich erzählte ihm meine Geschichte. Er bemerkte knapp: Bei mir ist es das Gleiche; die Spieler sagen, ich könne doch gar kein Fußballspielen!
Wo wird also nun Wert geschöpft? An der Werkbank, auf dem Fußballplatz oder daneben? Die Antwort ist klar: „Auf’m Platz ist wichtig“. Doch schon längst hat sich ein neues (Wissens)Spiel quasi „jenseits dem Arbeits- und Spielfeld“ entwickelt, mit eigenen Regeln, körperlos, mit anderen Zeit- und Raumperspektiven. In diesem Spiel werden neue Bedingungen für das Basisspiel oder besser die Basisspiele erfunden – eine Wertschöpfung anderer Art: Es geht um Professionalisierung, Output- oder Kompetenzorientierung, Transparenz, (Kosten)Effizienz, Qualität, Kollaboration, Kommunikation, Synergie, Coopetition … die unsichtbaren oder zumindest schwer zu fassende Größen in modernen Organisationen. Und da ist es egal, ob wir in den Sportverband, in Hilfsorganisationen, in eine Bank oder in ein Großunternehmen wie Siemens schauen. Damals bei Herrn Hofer-Alfeis hätte ich sagen sollen: Auf’n Platz ist wichtig, daneben aber auch!
Schavans Doktorarbeit: unsportliches oder nichtsportliches Verhalten?

Stellen Sie sich vor, Sie wären ein Fußballspieler (oder eine Fußballspielerin). Nach ca. 20 Jahren würde man sie fragen, ob Sie im Endspiel der Fußballweltmeisterschaft Spieler x gefoult haben. Selbstverständlich würden Sie antworten: Wenn gegen mich keine rote oder gelbe Karte gezogen wurde, dann habe ich nicht gefoult, zumindest wurde ich vom Schiedsrichter nicht erwischt. Stellen Sie sich nun vor, Sie hätten das damalige Spiel in der Verlängerung nur gewonnen, weil sie gedopt waren. Heute, 2013, nimmt man Ihre damalige Dopingprobe her und analysiert sie mit aktuellen Analysemethoden. Man entdeckt verbotene Substanzen, nimmt ihnen den Weltmeistertitel und Sponsoren belasten sie mit Regresszahlungen.
Sven Güldenpfennig, (vgl. auch meinen älteren Blogbeitrag) der sich Zeit seines Lebens mit der Idee des Sports, mit seinem "Eigensinn", beschäftigt hat, führt zur Unterscheidung dieser Fälle die Begriffe unsportliches und außersportliches Verhalten ein. Unsportlich ist ein Spieler dann, wenn er gegen die Spielregeln verstößt, diese aber anerkennt! Ein solches Verhalten wird vom Schiedsrichter geahndet, so dass die Balance im Spiel erhalten bleibt. Wenn nun jemand dopt ist klar, dass er die konstituierenden Regeln des Sports nicht anerkennt, somit führt sein Verhalten auch nicht zu einer Verletzung der Spielregeln, da der Spieler sich mit seinem Verhalten in einem außersportlichen Bereich befindet. Er treibt folglich gar keinen Sport (Bruch mit der Idee), auch wenn er mitten unter den Sportlern auf dem Spielfeld agiert. Oder nochmal anders gewendet: Lance Armstrong hat nie Rad-SPORT betrieben.
Überträgt man nun dieses Konzept der Sportidee auf die Ebene der Wissenschaft, dann müssten bei schlampigen Zitierungen zuallererst die Gutachter gefragt werden. Wenn die Arbeit abgeschlossen und der Doktortitel vergeben ist, müssten man bei Schummelleistungen die Gutachter belangen, weil sie ihrer Aufgabe als FACHgutachter nicht gerecht geworden sind. In jedem Fall bleibt ein solches Verhalten aber „nur" unwissenschaftlich, wenn trotz Zitierfehler (analog Fouls) festgestellt werden kann, dass die Arbeit vom Autor eigenhändig verfasst wurde – der Doktortitel bliebe erhalten. Stellt man hingegen fest, dass die Doktorarbeit unter Fremdleistung erstellt wurde (z.B. Schnäppchen aus Bulgarien) tritt der wissenschaftliche Dopingfall ein: Der Autor befindet sich in einem außerwissenschaftlichen Bereich, der Doktortitel wird aberkannt, Regresszahlungen wegen Täuschung wären fällig.
Nun wird man einwenden, dass es doch gerade um eine Binnendifferenzierung des unwissenschaftlichen Verhaltens gehe, eben die Frage, wie viel denn geschummelt werden darf: 5% oder 50%, Absicht oder Nachlässigkeit. Hier wird man sich immer schwer tun, eine Grenze zu begründen, warum genau hier und nicht doch noch etwas mehr oder weniger? Was man aber von heute an machen müsste (oder auch rückwirkend), ist die Veröffentlichung der Gutachten zu einer Doktorarbeit (online abrufbar). Das wäre was, denn dann würden die Fachgutachter die Arbeit sehr, sehr genau lesen und sie nur dann akzeptieren, wenn ihnen wirklich nichts aufgefallen ist. Gutachter stehen bei einem Vergehen mit in der Kreide.
Statt einer Rezension – Gedanken zum Buch „Das Neue und seine Feinde“ (Gunter Dueck)

Fangen wir hinten an (S. 282), sinngemäß: Innovation ist wie eine Herkulesaufgabe und eine gelungene Innovation ist wie ‚Sisyphos schafft es doch‘. Herkules & Sisyphos, der Rückgriff auf die Dramenfiguren der Antike, ist nicht unbegründet. Duecks macht damit die schier unmenschliche Aufgabe deutlich, die sich „Innovatoren" auf die Fahne schreiben (müssen), eine Unmöglichkeit, in jedem Falle aber ein Kraftakt sondergleichen. Der unbedingte Wille, es immer und immer wieder zu versuchen, nicht das Gleiche, sondern die dauerhafte Variation einer hoffentlich guten Kernidee, gesättigt mit einem tiefen Verständnis für den Kontext der Innovation, erworben in 10.000 Stunden durch Zuhören, Verbessern und nochmals Zuhören. Das klingt alles sehr sportlich und Duecks macht vom Ende her klar, dass SEIN Innovationsbegriff rein gar nix mit gut kalkulierbarem Management, gar Betriebswirtschaftslehre „in fünf Schritten zur Innovation" zu tun hat. Innovation ist Neuland, Hochgebirge, Dschungel, da dreht sich der Kompass.
Nach dieser Einstiegssalve „unmöglich", nun aber doch ein paar Aha-Stellen:
- Gefühlte 10-mal spricht Dueck die Warnung aus „work underground as long as you can", soll heißen: Man solle seine Erfindungen in einer Frühphase nicht herumposaunen, denn dann werde das „Immunsystem" aktiviert. Die Analogie vom betrieblichen Immunsystem gibt einen wichtigen Hinweis darauf, dass das Neue als zunächst Nichtanschlussfähiges und damit Fremdes von der Organisation abgestoßen (und vernichtet) wird, ähnlich den Bakterien im Körper. Die Innovation im Unternehmen ist also entgegen aller Sonntagsreden (der Vorstände) in der Ideen-Phase nicht willkommen! Erst wenn die Erfindung intern akzeptiert und mit den zentralen Akteuren abgesprochen ist, könne man sich als Innovator in Managementsitzung outen, denn die Idee sei dann kein fremdes Bakterium mehr sondern organisationseigenes und damit willkommen. Merke! Management ist Entscheiden nicht Diskutieren.
- Dueck fasst im aktuellen Buch seine „Menschenlehre" auf knappem Raum zusammen. Er bezieht dabei vor allem Gedanken von Riemann und Jung ein. Heraus kommt (hier frech vereinfacht) eine Einteilung in wahre (Träumer), natürliche (Macher) und richtige (Ordner) Menschen, die jeweils bestimmte Präferenzen und „Lebensgrundsätze" haben. Normalerweise sammeln sich diese Typen in bestimmten Berufssparten – zumindest statistisch. Dueck zeigt nun, dass bei einem Innovator die besondere Herausforderung darin besteht, dass er mehrere Typen in sich vereinen muss, da er/sie z.B. sowohl Erfinder als auch Verkäufer oder Unternehmer sein müsse. Es ist offensichtlich, dass dieser Alleskönner an (leidvolle) innere Grenzen stößt, die es aber zu überwinden gelte. Merke! Innovatoren müssen in der Lage sein, sich selber immer wieder zu erfinden oder die Grenzen des eigenen Naturells auszudehnen.
- Dueck betont, dass es nicht mit ein paar Standardfolien zur Innovation oder dem Abarbeiten eines „Algorithmus" getan ist. Man müsse ein tiefes Verständnis für die Realität aufbauen, sei es „beim Kunden" oder auf „Kongressen", wo auch immer. Duecks macht am Beispiel des Bierlieferanten klar (Optimierungsprobleme sind seine Innovationen), dass es 100 Fallstricke in der Praxis gibt (z.B. zu enge Gassen, etc.). Merke! Ins Feld gehen, mit Praktikern reden, gar arbeiten oder entwickeln (co-creation), so dass man die „gemeine" Praxis versteht!
- Immer wieder im Buch (implizit und explizit) macht Duecks die Bedeutung von belastbaren Personennetzwerken deutlich, das sind Mitspieler die helfen, Informationen zu beschaffen, Sachlagen einzuschätzen, Pate zu stehen, Ressourcen beizusteuern. In diesem Zusammenhang fällt der Begriff der Pre-Innovation, um deutlich zu machen, dass VOR aller Innovation diese Netzwerke aufzubauen sind, damit man sie zum Zeitpunkt X „punktgenau" abrufen kann. Merke! Oft weiß man beim Aufbau von Partnern noch gar nicht, in welchen Zusammenhängen man sie in der Zukunft um Hilfe bittet.
Auf dem Cover des Buches sieht man eine Glühbirne. Eine abgenutzte Metapher für „Idee", wie auch Duecks entschuldigend feststellt. Schaut man genauer hin, dann entdeckt man, dass die Bildpixel ebenfalls aus Glühbirnen bestehen, das kennen wir vom Mandelbrotbäumchen, Stichwort „Selbstähnlichkeit", vielleicht ein Hinweis auf die 1000 Iterationen, die eine Idee durchlaufen muss, wenn sie am Ende schön sein will. Blinzelt man nun mit den Augen, so sieht man nicht nur eine große Glühbirne, sondern auch einen Totenkopf – Augen, Nase und Mund sind deutlich aus schwarzen Glühbirnen gezeichnet: das Neue und seine Feinde, Ideengeburt und Ideentod, beides hängt wohl aufs Engste zusammen, ein Philosoph war am Werk. Deshalb ist das Buch auch kein Ratgeber im klassischen Sinne, sondern eher eine psychologische Anthropologie für Innovatoren.
Ich kann das Buch jedenfalls alljenen empfehlen, die sich freiwillig oder gezwungen in der Rolle des Innovators widerfinden und … zweifeln. Die Zweifler (auch Macher können zweifeln) bekommen am Ende etwas viel Wertvolleres als einen „technischen Rat", nämlich eine Blickführung für den tieferen Sinn ihres Tuns.
Vom Ende her

In der Zwischenzeit hat sich das neue Interesse etwas verstärkt: Ein mittelbar mit dem Thema zusammenhängender Diskussionsbeitrag in der Zeitschrift SPORTWISSENSCHAFT wurde angenommen, ein stimulierender Online-Dialog mit dem Präsidenten der ZU geführt, ein größeres F&E-Projekt mit dem Deutschen Olympischen Sportbund e.V. auf den Weg gebracht, erste Ideenanker mit dem Deutschen Roten Kreuz e.V. formuliert und eine noch junge Partnerschaft mit Change Evolution geschlossen. Das hängt zwar alles noch nicht direkt zusammen, aber ich erkenne ein Muster, das mir gut gefällt und mich anzieht. In diesem Zusammenhang spielen die digitalen Medien eine zentrale Rolle und genau diese Rolle möchte ich in den nächsten Jahren deutlicher (als bisher) beobachten: Inwiefern können digitale Medien dabei helfen, soziale Innovationen zu initiieren und zu verstetigen? Welches spezifische (Struktur)Problem wird durch die digitalen Medien gelöst?
Damit hängt eine neue Blickrichtung zusammen; das Stichwort lautet „nachhaltig" (sustainable). Was ist z.B. eine nachhaltige Lehre, was eine nachhaltige Bildungsinnovation, was nachhaltiges Management? Kann man das so rasch beantworten? Was passiert, wenn man den gesamten Prozess, der einem lieb ist, von „hinten" denkt? Ist „von hinten denken" dasselbe wie „zu Ende" denken? Was bedeutet die Metapher vom „Ende" denn überhaupt? Inwiefern zeigt sich Nachhaltigkeit schon in den ersten Schritten, die man (gemeinsam) geht, in der Auswahl der Partner, den eingesetzten Methoden, in der Art und Weise, wie man den Zweck diskutiert, gar im unmittelbaren Erleben? Ist es richtig, die Nachhaltigkeit eines Projekts in einer der letzten Arbeitspakete meist unter Finanzen und Kommunikation „abzuhandeln"? Was hat die Logik der Nachhaltigkeit mit der Logik der Design-Forschung zu tun? Hier vermute ich eine starke Beziehung. Und nochmal: Welchen spezifischen Beitrag leisten die digitalen Medien und das Web 2.0, wenn es um nachhaltige Entwicklungen, gar soziale Innovationen, geht? Am Ende des Jahres also viele Fragen und eine interessante Denkrichtung, der ich im kommenden Jahr intensiver nachgehen werde.